Landschaftsfragment, 1966

Eberhard Oertel (1937-2019)

Das Museum für Kunst und Kulturgeschichte freut sich über eine Bereicherung der Bestände zur norddeutschen Kunst des späten 20. Jahrhunderts. Okku Oertel, die Witwe des 2019 verstorbenen Kieler Malers Eberhard Oertel hat dem Freundeskreis Schloss Gottorf kürzlich zwei wichtige Arbeiten ihres Mannes geschenkt.

Bisher befanden sich nur wenige Arbeiten des Künstlers – zumeist aus den 1970er Jahren – in der Gottorfer Sammlung. Mit der Arbeit „Landschaftsfragment“ können wir nun ein exemplarisches Frühwerk des Malers präsentieren. Oertel, der von 1958 bis 1962 an der Berliner Hochschule für bildende Künste studiert hatte, zeigt sich hier noch als ein Vertreter der internationalen Abstraktion mit starken Bezügen zum Informel und der Nouvelle École de Paris. Der Titel verweist auf Elemente einer Landschaft, die in fragmentierter Form neu und ohne schlüssigen Zusammenhang kombiniert sind. Das Bildfeld ist horizontal in zwei ungleiche Ebenen geteilt, die sich koloristisch und in ihrer Malweise deutlich unterscheiden. Optisch reizvoll und technisch raffiniert legt Oertel verschiedene Farbschichten schleierartig übereinander, lässt einzelne Farbtöne unter anderen hervorleuchten und schafft eine diaphane Struktur sowie Tiefenräumlichkeit und Plastizität.

Dreißig Jahre später (1995/96) entstand sein Gemälde „Großes Fachwerk“. Zeigen die surrealistisch angehauchten Werke der 1970er Jahre insbesondere verfremdete Elemente aus der Industrie, technische Apparate und wissenschaftliche Instrumente, so herrschen ab den 1980er Jahren Strukturen aus farbigen Flächen und schwarzen Partien vor. „Großes Fachwerk“ ist ein aus zwei gleich großen Leinwand-Paneelen zusammengesetztes Quadrat. In feinmalerischer Präzision wiedergegeben, setzt Oertel über dem hellen, gelb-beige changierenden Grund dunkle geometrische Strukturen in Schwarz, Blau-Violett und Aubergine neben- und übereinander. Vertikalen, Diagonalen und Winkel verschränken sich zu einem verwirrenden, räumlichen Spiel der Ebenen. Der Künstler lässt Konturen grell aufleuchten und verleiht einigen dunklen Partien ein feines, erhabenes Lineament – wie mit einem Rakel gezogen –, das nur in der Nahsicht zu erkennen ist. Assoziationen zu Hausdächern, zu Balken und dem namensgebenden Fachwerk stellen sich ein. Wie häufig in den Bildern dieser Werkphase durchbricht ein horizontal gegliedertes Fenster bzw. ein geschlossener Fensterladen in der rechten oberen Bildhälfte die Komposition. Ein feuriges Rot-Orange leuchtet dort durch die schmalen Lamellen und verstärkt den rätselhaften und diffusen Charakter des Bildes.

Zukünftig sollen diese beiden Werke Eberhard Oertels im Neuerwerbungsraum innerhalb der Norddeutschen Galerie zu sehen sein.

Ingo Borges